Cohen, Peter (2000), Het hazenpad. Justitiekrant, April 2000. German translation by Jeanette Roberts.
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Die Flucht vor der Hintertür

Peter Cohen

Der Schriftsatz Het pad naar de achterdeur (Der Weg zur Hintertür), verfaßt von Justizminister Korthals, ist ein überraschend deutliches, stellenweise fachkundiges Dokument. Es drückt Vertrauen in unsere "Politik der Toleranz" aus, was unter den derzeitigen Umständen wahrlich ermunternd ist.

Der Justizminister reagiert hiermit auf den Plan von zweiundzwanzig niederländischen Bürgermeistern, um durch den Anbau von Marihuana den gesamten Cannabishandel in der Niederlande zu regeln. Sein Beitrag bläst neues Leben in die Debatte über die Drogenpolitik ein, die etwas in Vergessenheit geraten war. Het pad naar de achterdeur stellt das Gegenargument zu dem kürzlich veröffentlichten Beitrag von Herrn van der Stel dar. In seinem fesselnden Buch Een nieuw drugbeleid? (Eine neue Drogenpolitik?) plädiert Herr van der Stel, um über legale Formen der Regulierung allen Drogenkonsums nachzudenken. Denn, so schreibt Herr van der Stel, hat sich die Entwicklung zu einer Normalisierung des Drogenkonsums unter der Bevölkerung schon lang in Gang gesetzt.

Het pad naar de achterdeur ist ein seltsamer Titel für einen Schriftsatz, der viel bezeichnender "Die Flucht vor der Hintertür" heißen sollte. Der Minister läßt kein Stück am Plan der Bürgermeister heil, den er als undurchführbar erachtet. Die rechtlichen Gründe, die der Minister dafür angibt sind schlau durchdacht, und die praktischen Gründe sind zum Teil gerechtfertigt. Aber weshalb hat der Inhalt des Schriftsatzes dann so wenig Überzeugungskraft? Weil der Eindruck vermittelt werden soll, daß die Cannabisfrage wegen der abnehmenden Zahl der "Coffee Shops" ziemlich unter Kontrolle gebracht ist! Die Autoritäten befürchten nämlich, daß die 'Jugend' durch diese 'illegale Cannabis-Verkaufsstellen' leichter mit harten Drogen in Kontakt kommt. Der Schriftsatz von Justizminister Korthals stellt ein viel zu pessimistisches Bild des europäischen Drogenpolitik-Klimas und seiner derzeitigen Möglichkeiten dar. Viel gravierender jedoch — zwischen den Zeilen versteckt — rechtfertigt der Schriftsatz die zuvor implementierte Intensivierung der Repression.

Die Tatsache, daß der Plan der Bürgermeister mit einigen größeren Schwierigkeiten verbunden ist, ist kein annehmbarer Grund, um die Notwendigkeit der Regulierung der "Hintertür-Frage" als komplett undurchführbar zu bezeichnen. Die Idee der Bürgermeister durch den tolerierten Anbau von Cannabis den gesamten Cannabishandel in der Niederlande in den Griff zu bekommen, ist naiv. Angesichts der begrenzten Anzahl der Polizeibeamten und des anregenden Effekts auf die Kriminalität, ist diese totale Kontrolle sogar unerwünscht. Aber genau wie bei den Coffee Shops ist die totale Kontrolle auch nicht vonnöten. Coffee Shops können den Verkauf von Cannabis außerhalb auch nicht verhindern. Der Verkauf von Cannabis außerhalb von Coffee Shops existiert in Hülle und Fülle, und diese Situation wird auch so lange weiter bestehen, bis die Niederlande eine gute Verbreitungspolitik für die Coffee Shops mit Lizenz erarbeitet hat. Aber vermindert das nicht die Wichtigkeit der bestehenden Coffee Shops in Bezug auf die Verteilung, und das politische Klima? Natürlich nicht. Der Beginn der Regulierung des Anbaus von Marihuana, trägt dazu bei, das gesamte System der Cannabisproduktion- und Verteilung stufenweise unter Kontrolle zu bringen. Nein, besagt der Schriftsatz des Justizministers, und 'nein' sagt der Ministerpräsident, so ginge das nicht, denn das wäre eine Verletzung der internationalen Verträge. Als ob diese Verträge in Stein gehauen sind! Als ob wir sie in einigen Punkten nicht etwas dehnen, oder "auf Eis legen" könnten, wie wir es auch mit unserer Coffee Shop-Politik getan haben! Beim Justizministerium gibt es zuhauf Juristen, die Vorschläge für moderne Einsichten erarbeiten könnten. Und ist das International Narcotic Board (INCB) denn in Deutschland eingefallen, als dieses Land kürzlich, entgegen dem Willen des INCB — dem Hüter der internationalen Verträge — die sogenannten "Injektionsräume" mit einer legalen Grundlage versah? Wie man sieht, Fortschritt ist möglich!

"Nein", sagen die Herren erneut, die Stimmung in Europa ist dafür nicht günstig. Man werfe nur einen Blick auf die umfangreiche Anlage zum Schriftsatz des Justizministers. Jedoch behaupten Andere wiederum, daß die Stimmung dem Fortschritt sehr wohl günstig gesinnt ist und sogar noch weiter ausgebaut werden kann. Ich zitiere hier gerne die Anwort von Gesundheitsministerin Borst auf Fragen im Abgeordnetenhaus: "Mit Bezug auf die Cannabispolitik zeigt der letzte Jahresbericht des EMCDDA, daß immer mehr Länder faktisch eine Toleranzpolitik hinsichtlich des individuellen Drogenkonsums führen. Ferner wird aus den vielen bilateralen Kontakten zwischen niederländischen und ausländischen Experten und Politikern deutlich, daß für die niederländische (Cannabis)Drogenpolitik sehr viel Anerkennung besteht".

Kein besserer Zeitpunkt für eine gute Diskussion mit unserem neuen Freund Chirac, und ihm genau jetzt (wo er uns nötig hat) die Argumente für eine weitere Entkriminalisierung im Rahmen unserer Toleranzpolitik vorzulegen. Immer mehr französische Staatsbürger sind dazu bereit, einschließlich Mitglieder der Regierungsspitze. Und angesichts der heftigen Debatten in England, sind viele englische Bürger derselben Meinung. Die Tatsache, daß Amerika — wie ein eiserner Klotz auf der Bremse steht — stellt für unseren Botschafter in Washington eine herrliche Herausforderung dar.

Keine Courage

Der Schriftsatz von Justizminister Korthals ist eine ausführliche Darstellung des Mangels an Courage der regierenden Koalition (bestehend aus VVD, PvdA, D66), um den Weg zur "Hintertür-Regelung" selbst auch nur mit Vorsicht zu betreten. Ferner ist es die Bestätigung einer bereits begonnenen und kontraproduktiven Verschärfung der Repression. "Insgesamt wird die Handhabung der gesetzlichen Verbote einen intensiveren Charakter erhalten müssen", heißt es in dem Schriftsatz, ohne daß deutlich wird zu welchen Kosten, und wem damit gedient werden soll.

Falls die Niederlande nicht den Mut aufbringt ihre Toleranzpolitik weiter zu entwickeln, wird dies das Ende der liberalen niederländischen Drogenpolitik bedeuten.